«Nach Begegnungen mit Menschen von der Gasse sieht man einige Dinge ganz anders und schaut genauer hin.»
Valentin Beck, Gassen- und Pfarreiseelsorger
«Bei existenziellen Fragen ist es wichtig, dass das Gegenüber spürt: Da ist jemand für mich da, der mir zuhört, mich ernst nimmt und mir hilft.»
Lisa Wieland, Armeeseelsorgerin
«Ich darf beruflich glückliche Momente schaffen.»
Pia Brüniger-von Moos, Spitalseelsorgerin
«Es ist schön, Menschen beim Suchen zu unterstützen. Schwarz-Weiss-Denken hat da keinen Platz.»
Marek Slaby, Gefängnisseelsorger und Diakon
«Alte Menschen sind wie Frachtschiffe: Sie führen eine riesige Ladung Lebensgeschichten mit sich.»
Edith Birbaumer, Heimseelsorgerin
«Die RS ist für viele eine Herausforderung. Da bin ich gerne eine Stütze.»
Urs Kuster, Armeeseelsorger
Spezialseelsorgerin & Spezialseelsorger
In Spezialsituationen für die Seele der Menschen da sein
Spezialseelsorgerinnen und Spezialseelsorger sind an vielen Orten unterwegs: im Spital, im Gefängnis, auf Bahnhöfen oder Flughäfen, bei der Feuerwehr, in der Armee, bei Behinderten oder in der Notfallseelsorge. Sie sind für Kranke und ihre Angehörigen oder die Sorgen und Nöte der Mitarbeitenden da.
Die Aufgaben sind in jedem Umfeld anders. Beispiel Krankenhaus: Hier kommen Kinder auf die Welt, es gehen aber auch Leben zu Ende. Spitalseelsorger besuchen die Patienten, reden oder beten mit den Verwandten und arbeiten mit Ärzten zusammen. Am Flughafen wiederum bieten Spezialseelsorger Aussprachemöglichkeiten oder Gottesdienste für Reisende, Asylsuchende und Flugpersonal an. In der Notfallseelsorge betreuen sie bei einem schweren Unfall, einem Selbstmord, Kindstod oder einer Naturkatastrophe die Betroffenen, Augenzeugen oder Beteiligte und entlasten damit Rettungsdienste, Polizei und Feuerwehr. Wo immer Spezialseelsorger tätig sind: Sie hören zu, sind da in schwierigen wie schönen Momenten und leisten praktische Hilfe, je nach ihrer Zuständigkeit.
Das bringst du mit
Du verfügst über eine hohe Sozialkompetenz und bist offen gegenüber anderen Kulturen und Religionen. Dazu brauchst du eine gehörige Portion Lebenserfahrung, Belastbarkeit darf kein Fremdwort sein. Du hast Freude an neuen, überraschenden Situationen und magst den Umgang mit ganz unterschiedlichen Menschen. Du kannst dich auch gut abgrenzen.
Ausbildung
Theologiestudium, gefolgt von einem Pastoraljahr (Theorie, praktische Tätigkeit in der Pfarrei) oder einer zweijährigen Berufseinführung. Mehrjährige Berufserfahrung in der Pfarreiseelsorge und eine Weiterbildung für die Spezial- bzw. die Spitalseelsorge werden vorausgesetzt. Clinical Pastoral Training CPT zum Beispiel ist eine pastoralpsychologische Aus- und Weiterbildung für Seelsorger und Seelsorgerinnen, die in Spitälern, ähnlichen Institutionen oder in Gemeinden arbeiten. Sie besteht aus verschiedenen Kursmodulen.
Dauer der Ausbildung
Das Hochschul- bzw. Universitätsstudium dauert fünf bis sechs Jahre. Die CPT-Grundausbildung besteht aus 13 Wochenkursen, die über mehrere Jahre verteilt besucht werden.
Abschluss
Master in (kath.) Theologie (MTh)
Weitere Infos
- Hier findest du weitere Informationen zu den diversen Ausbildungswegen
- Bist du noch unschlüssig? Lass dich persönlich beraten
«Bei existenziellen Fragen ist es wichtig, dass das Gegenüber spürt: Da ist jemand für mich da, der mir zuhört, mich ernst nimmt und mir hilft.»
Lisa Wieland, Armeeseelsorgerin
Lisa Wieland arbeitet als theologische Assistentin von Bischof Felix Gmür und als Armeeseelsorgerin.
«Durch den Militärdienst im Milizsystem ergibt sich die Möglichkeit, vielfältige Erfahrungen zu sammeln. Genau das kann aber auch zu einer Doppelbelastung führen. Zum militärischen Auftrag und der sich stetig verändernden politischen Weltlage kommen oft ‘zivile’ Belange mit in den Dienst – finanzielle Fragen, der pflegebedürftige Vater, die hochschwangere Frau… Die Armeeseelsorge begleitet Kameradinnen und Kameraden in diesen Momenten und kann wichtige Unterstützung bieten.
Im Einsatz für die Armeeangehörigen
Mein Theologiestudium hat mich darauf ehrlich gesagt eher wenig vorbereitet. Seelsorge in der Armee wurde im Unterricht nicht thematisiert. Trotzdem gibt mir das Studium ein solides Fundament. Wie viele Seelsorgende hatte ich davor noch einen anderen Beruf: Ich habe eine Lehre als Köchin EFZ absolviert und später im Sicherheitsbereich gearbeitet. Als Soldatin habe ich bei einem KFOR-Einsatz zum ersten Mal Armeeluft geschnuppert.
Als ich mich während meines Theologiestudiums für die Armeeseelsorge zu interessieren begonnen habe, erkundigte ich mich, was es dazu braucht. Was ich von der Fachstelle Armeeseelsorge hörte, überzeugte mich – und so ging es Schritt für Schritt in Richtung Armee. Parallel dazu schloss ich meine Berufseinführung im Bistum Basel ab, sodass ich heute mit viel Herzblut Pfarreiseelsorgerin in der Pfarrei St. Michael in Zug und Armeeseelsorgerin in der Logistik Brigade 1 bin. Als Armeeseelsorgerin bin ich Teil des Milizsystems und für Armeeangehörige in der ganzen Schweiz da.
Mir hilft mein breiter Rucksack an Aus- und Weiterbildungen, Berufserfahrung und ein ehrliches, tiefes Interesse an Menschen. Werte wie Offenheit und Wertschätzung sind fast noch wichtiger als all die erlernten Theorien zu Kommunikation, Gesprächsführung oder zu Themen wie Resilienz, Gesundheit, Sucht, Suizidprävention etc.
Tiefe Einblicke und grosse Fragen
In den Gesprächen ist es mir wichtig, ein offenes Ohr zu haben und breite Unterstützung zu signalisieren. Das Gegenüber soll spüren: Da ist jemand für mich da, der mir zuhört, mich ernst nimmt und mir hilft. Teil davon zu sein, ist für mich jedes Mal eine unglaublich tiefe Erfahrung. Es können jeweils ganz verschiedene Fragen auftauchen. Konkret um den Glauben geht es selten. Meist sind es existenzielle Erfahrungen. Die Palette ist riesig und unterscheidet sich von Truppe zu Truppe. Die Fragen ähneln sich vielleicht, doch jede Person geht anders damit um. Neben diesen oft sehr intensiven und persönlichen Seelsorge-Gesprächen oder Coachings gilt es, beispielsweise beim Beginn des WK-Dienstes Ansprachen zu halten, bei Bedarf das Kader zu beraten, bei Konflikten zu schlichten oder an Fachstellen zu vermitteln.
Wenn ich einmal nicht weiterweiss, wende ich mich für Unterstützung je nach Situation an Gott, meine Nächsten oder an Fachpersonen. Ich möchte für die Menschen da sein, die gerade kein solch verlässliches soziales Umfeld haben, dem sie sich anvertrauen können – und die vielleicht auch nicht an Gott glauben.»
«Ich darf beruflich glückliche Momente schaffen.»
Pia Brüniger-von Moos, Spitalseelsorgerin
Pia Brüniger-von Moos arbeitet als Spitalseelsorgerin im Luzerner Kantonsspital.
«Als Spitalseelsorgerin für Patientinnen und Patienten sowie ihre Angehörigen in ihren aussergewöhnlichen Lebenssituationen da. Im Kantonsspital in Luzern arbeite ich in einem Team mit acht weiteren Theologinnen und Theologen zusammen. Wir alle bringen neben einem Theologiestudium eine Weiterbildung in Spitalseelsorge und psychologischer Nothilfe mit. Daneben sind wir vielfältig spezialisiert: Trauerbegleitung, Palliative Care, Spiritual Care, Care für andere Spitalmitarbeitende, Logotherapie, Coaching- oder Meditationsausbildung und so weiter.
Vom «B-Postel» zum Apostel
Nach meiner Erstausbildung bei der Post führte mich der damalige dritte Bildungsweg zum Theologiestudium. Im Laufe meiner beruflichen Weiterentwicklung sammelte ich Erfahrungen auf der ganzen Breite der Pfarreiarbeit: unterrichten, Fastenwochen begleiten, Zeltlager im Sommer, Abschiedsfeiern gestalten, Predigtdienst und Sprecherin beim «Wort zum Sonntag» des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF).
Hoffnung spenden
Meine Ausbildung, meine Berufs- und meine Lebenserfahrungen geben mir «Boden» für die anspruchsvolle Arbeit im Spital, wo wir Menschen – quer durch die ganze Buntheit unserer Gesellschaft – begleiten dürfen. Zum Beispiel, wenn ich spontan ein Segensritual für ein tot geborenes Kind einer kirchenfernen Familie vorbereite, mit den Geschwistern dazu auf der Wiese vor der Frauenklinik Blumen pflücke und die Eltern bei ihrem Abschied begleite. Es ist mir wichtig, dass ich letztlich nicht nur als Theologin zu Patientinnen und Patienten gehe – sondern ich begegne als Mensch anderen Menschen.
Glaube, Gesundheit, Glücksmomente
Vor kurzem fragte mich ein Spitalbesucher in gebrochenem Englisch, ob ich eigentlich eine Pflegerin sei. Ich überlegte einen Moment, suchte nach einer passenden Übersetzung für «Spitalseelsorgerin» – da kam er mir zuvor und sagte: «Ah, you make people happy!». Wenn es mir gelingt für Menschen selbst in fragilen Krankheitszuständen Glücksmomente zu schaffen, dann bin ich einfach dankbar und sehe dies als grosse Chance.»
«Nach Begegnungen mit Menschen von der Gasse sieht man einige Dinge ganz anders und schaut genauer hin.»
Valentin Beck, Gassen- und Pfarreiseelsorger
Valentin Beck arbeitet als Seelsorger in der Pfarrei St. Paul Luzern und für den Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern.
«Ich bin in einem Dorf im Kanton Luzern aufgewachsen. Kirchlich geprägt wurde ich durch den Dorfpfarrer, den ich als sehr authentisch erlebt habe, sowie den Präses der Jungwachtschar. Ich habe gesehen, wie vielfaltig und erfüllend der Beruf als Seelsorger sein kann, in dem Leid und Freude sehr nahe beieinander liegen. Man hat sehr viel Kontakt mit den Leuten, verbindet verschiedene Rollen, bietet vor allem aber Begleitung und Seelsorge. In meinen jungen Jahren waren beide für mich wertvolle Gesprächspartner, die mir auf Augenhöhe begegneten.
Dazu kommt das Glaubensleben meiner Grossmutter. Es gab ihr immer Halt und war authentisch in ihr Leben eingebettet. Im Elternhaus war der Glaube auch im Alltag präsent: Wir besuchten Gottesdienste und engagierten uns in der Pfarreigemeinschaft. Mein Vater war Hausarzt im Dorf und die Praxis war bei uns im Haus. Deswegen erlebte ich oft mit, wie er Patienten in schwierigen existenziellen Situationen half.
Gleichaltrige mit komplett anderen Sorgen
Als Jugendlicher war ich an Philosophie interessiert und betrachtete Religion als interessantes Phänomen. Nach der Matura besuchte ich mit den Menzinger Schwestern Lesotho in Afrika. Ich verbrachte dort ein Jahr und konnte in einer Schule aushelfen. Dort erlebte ich eine lebendige Liturgie, an der sich alle Generationen beteiligten. Besonders geprägt wurde ich durch Gespräche mit gleichaltrigen Jugendlichen. Ihre Sorgen sind ganz anders als diejenigen in der Schweiz.
All diese Eindrücke führten dazu, dass ich mich für das Theologiestudium in Fribourg entschied – zunächst ohne gezielte Berufsaussichten. Neben Fribourg studierte ich auch in Berlin und machte danach den Master of Secondary Religious Education in Luzern (Höheres Lehramt). Danach unterrichtete ich 7 Jahre lang in Alpnach an der Oberstufe und hatte eine Kirchengeschichts-Assistenzstelle an der Uni Luzern inne.
Sieben Jahre lang war ich Bundespräses von Jungwacht-Blauring Schweiz – eine gute Zeit. Ich war sehr glücklich und engagiert. Ich musste Verantwortung übernehmen und selbst entscheiden, das hat mein Selbstbewusstsein, meine Reife gefördert. Für diese Aufgabe half mir mein Theologiestudium, aber auch meine kirchliche Vernetzung. Die Themenvielfalt war gross: Von Missbrauchsprävention über die Überarbeitung der Webseite bis zur Kursausbildung für neue Leitende – all diese Tätigkeiten motivierten mich sehr. Zudem übernahm ich Stellvertretungen als Psychiatrieseelsorger.
Zwei Aufgaben, die sich ergänzen
Jetzt arbeite ich 60 Prozent in der Pfarrei und 30 Prozent bei der Gassenarbeit. Das passt sehr gut zusammen, beides ist lokal, und die Seelsorge steht im Zentrum. Ich bin jeweils mit dem Velo zwischen Gassenküche, Pfarrkirche, Altersheim, Gefängnis, Friedhof und Spital unterwegs. Es sind weniger Projekte als früher, dafür tiefergehende Begleitungen von Menschen. Ich bin jetzt Seelsorgender, den PC brauche ich viel weniger als früher.
Bei der Gassenarbeit habe ich kein Büro, es ist wichtig, bei den Menschen vor Ort zu sein. Als Treffpunkt dient die Gassenküche, dort kommen nicht alle hin, aber viele. Es ist wie eine Info-Zentrale, man bekommt vieles mit. Ich esse ein bis zweimal pro Woche dort und bleibe dann den halben Nachmittag. Unten ist die Küche, das Esszimmer – dort entsteht Gemeinschaft, Wärme, Geborgenheit. Oben sind die Konsumationsräume – dort kommen Drogensüchtige regelmässig hin: Wenn man jemanden sucht, findet man ihn sicher dort. Wer will, kann mit mir über existentielle Themen wie Sterben und Versöhnung und über Gott und die Welt reden.
Dazu kommt administrative Arbeit; nicht viel, ich sitze so wenig am Computer wie nie zuvor. Dann mache ich etwas Vereinsarbeit – redigiere oder schreibe zum Beispiel Artikel für die GasseZiitig oder suche eine Autorin oder einen Autor für ein bestimmtes Thema. Daneben mache ich Info- und Sensibilisierungsarbeit, zum Beispiel an Schulen oder bei Firmandinnen und Firmanden.
Abdankung in der Gassenküche
Ab und zu halten wir in der Gassenküche eine Abdankungsfeier, jeweils kurz vor dem Mittag, da sind die meisten anwesend. Wir zünden eine Kerze an und teilen Erinnerungen an die verstorbene Person. Zu den Begegnungen auf dem Friedhof kommen meistens nur Angehörige, die anderen schaffen es nicht, auf eine genaue Uhrzeit zu kommen.
Weihnachten feiern wir tagsüber im Paradiesgässli. Dorthin kommen suchtkranke Eltern mit ihren Kindern. An Heiligabend organisieren wir eine Weihnachtsfeier in der Gassenküche. Im Februar gibt es jeweils eine ökumenische Gedenkfeier für alle, die im letzten Jahr gestorben sind.
Anregende Begegnungen auf Augenhöhe
Ich schätze sehr, dass die meisten Betroffenen sehr direkt sind. Sie reden nicht um den heissen Brei herum und sprechen Dinge unverblümt an. Das trifft man im Umgang mit Leuten, die nicht auf der Gasse leben, selten an. Die Begegnungen mit Randständigen sind auf Augenhöhe, die Betroffenen sind sich nicht gewöhnt, dass man sie zum Beispiel lobt, aber das macht ihnen Freude. Sie haben eine sehr alternative Sicht auf die Gesellschaft, ganz andere Ansichten als die durchschnittliche Gesellschaft. Es ist sehr anregend: Nach Gesprächen mit ihnen sieht man einige Dinge ganz anders und schaut genauer hin. Sucht- und armutsbetroffenen Menschen fällt Ungerechtigkeit stärker auf. Wir nehmen die normalerweise nicht wahr, aber dort wird man aufmerksam.
Es ist spannend, es gibt originelle Persönlichkeiten, man weiss vor einem Besuch nie, was einen erwartet. Manchmal ist es recht streng. Aber es ist kein Ort des Elends – es wird viel gelacht und Betroffene haben sehr viel Selbstironie.»
- Weitere Informationen zur Gassenarbeit
- Möchtest du mehr erfahren? Schreib Valentin Beck ein E-Mail
«Es ist schön, Menschen beim Suchen zu unterstützen. Schwarz-Weiss-Denken hat da keinen Platz.»
Marek Slaby, Gefängnisseelsorger und Diakon
Marek Slaby arbeitet als Diakon in der Pfarrei St. Niklaus in Hombrechtikon und Gefängnisseelsorger.
«Ich habe immer mit Leidenschaft Fussball gespielt und wollte eigentlich Fussballprofi werden. Aber das war nicht mein Weg – nicht nur wegen meiner zahlreichen Knieverletzungen. Denn neben dem Sport hat mich auch immer das Existenzielle angezogen.
Ich wuchs in Polen, in der Nähe von Krakau, auf. Meine Grossmutter war sehr religiös und strahlte Weisheit aus. Das hat mich schon als Kind geprägt. Ich war fasziniert von der Suche nach Antworten, nach dem Dasein. Ab dem 17. Lebensjahr engagierte ich mich stark für die Taizé-Gemeinschaft. Die Spiritualität, Mystik und die Beziehung zu Gott, die ich da während der europäischen Treffen erlebte, sind für mich heute noch essenziell.
Nach dem Gymnasium nahm ich in Warschau ein Theologie-Studium auf. Dort hatten wir unter anderem Unterricht in Kunst, Psychologie und Philosophie. Die Auseinandersetzung mit dem Dasein, die Entwicklung von Denksystemen, das Leben aus verschiedenen Perspektiven zu sehen hat mich von Anfang an sehr fasziniert. Ich habe gemerkt, wie ich aufblühe und, anders als an der Schule früher, plötzlich gerne lerne. Das war genial.
Danach liess ich mich zusätzlich in der Transaktionsanalyse ausbilden. Im dritten Studienjahr erfuhr ich aber eine Sinnkrise und fuhr nach in England, wo ich in die Sprachschule ging und in einem christlichen Hotel arbeitete. In England lernte ich meine Schweizer Frau kennen. Nach Jahren der Fernbeziehung entschied ich mich 1999, in die Schweiz zu ziehen.
Soziale Analyse der Schweiz
Nachdem ich etwas Deutsch gelernt hatte, fand ich eine Stelle bei der Post als Briefträger. Intellektuell hat mich die Arbeit nicht sonderlich gefordert, aber es war eine spannende soziale Analyse meiner neuen Heimat. 2001 fand ich dann endlich eine Stelle in der Pfarrei Hombrechtikon, wo ich heute noch als Diakon arbeite.
Seit 2008 arbeite ich auch als Gefängnisseelsorger. Ich finde es bereichernd, Menschen in verschiedenen Existenzsituationen zu begleiten, mit ihnen unterwegs zu sein und nach lebendigen Aspekten zu suchen – ob durch Psychologie, das Gebet, die Bibel oder einfache Beratung. In meiner Arbeit ist es wichtig, nicht gleich zu definieren und analysieren, sondern zuzuhören und zu fragen, was der andere braucht. Und dann ein Stück Weg mit ihm zu gehen.
Mit Menschen zu arbeiten ist faszinierend und vielseitig, denn jede und jeder ist einzigartig. Immer in einem dynamischen Prozess zu sein, das gefällt mir. In meinem Beruf kann ich den Menschen Sorge tragen und hin- und herwechseln zwischen begleitenden und heilenden Aspekten, die jede und jeder braucht. Die Menschen suchen stets nach dem Lebendigen, auch in ihrem Schmerz. Und das macht es für mich besonders spannend, für die Kirche zu arbeiten. Denn sie unterstützt die Suche, egal in welcher Form.
Die unregelmässigen Arbeitszeiten als Seelsorger sind nicht immer praktisch, vor allem wenn man eine Familie hat. Jetzt, wo meine zwei Mädchen 10 und 12 Jahre alt und selbstständiger sind, ist es einfacher. Dafür bietet mir mein Beruf unter der Woche aber auch eine gewisse Flexibilität. Ich bin kein Mensch, der gerne im Büro sitzt, ich gehe lieber einer praktischen Arbeit nach.
Schönes Wiedersehen mit Jungen
Wenn wir als Seelsorger gute Arbeit machen, leisten ist wir einen wichtigen Beitrag zur Beziehung zur Kirche. Wenn die Menschen auf eigene gute Erfahrungen zurückgreifen können und nicht nur auf Medienberichte über Skandale, dann haben sie auch ein anderes Verhältnis zur Kirche. Das ist besonders spannend in der Arbeit mit Jugendlichen. Sie treffen ganz klare Entscheidungen, wofür sie Zeit investieren wollen. Ihnen dabei Lust und Hunger nach mehr zu machen, das ist für mich ein wichtiger Prozess – damit sie ihren eigenen Weg weiter gehen können. Ich finde es besonders schön, wenn sie später dann mit eigenen Kindern kommen, die ich wieder taufen kann.
Die Kirche trägt zum Wachstum der Menschen bei: Wenn ich einen jungen Menschen nach ein paar Jahren wiedersehe, – egal, ob ich ihn von meiner Arbeit im Gefängnis oder von der Pfarrei kenne – und es geht ihm gut und er hat gesunde Beziehungen, er entwickelt sich, dann ist der Wachstumsprozess in Bewegung. Und es ist schön, ihn ein Stück auf diesem dynamischen Weg begleitet zu haben.
Fussballspielen als Ausgleich
Wer einen Beruf in der Kirche wählt, braucht eine gewisse Achtsamkeit und eine feine Wahrnehmung des Gegenübers. Er sollte gerne mit Menschen unterwegs sein. Ebenso wichtig sind Offenheit und die Fähigkeit, nicht vorschnell zu urteilen. Wer schwarz-weiss denkt, ist meiner Meinung nach in der Kirche am falschen Platz.
In diesem Beruf ist man oft in einer schmerzhaften, schwierigen Realität unterwegs. Die dauernde Konfrontation mit menschlichem Schicksal ist anstrengend. Da ist ein Ausgleich, der einen erdet, wichtig. Zum Beispiel eine Familie oder in meinem Fall auch das Fussballspielen, das ich immer noch liebe und heute in meiner Freizeit betreibe.
Ich staune immer wieder, wie viel ich in meinem Beruf lerne. Denn Seelsorge funktioniert auf beide Seiten: Es gibt kein Mensch, der mir nicht etwas schenken kann, egal, in welcher Lebenssituation.
Der Mensch ist ein unglaubliches Geheimnis: Ich habe extrem viel über ihn gelernt in den letzten zwanzig Jahren. Aber ich merke auch, dass ich immer weniger über ihn weiss.»
«Alte Menschen sind wie Frachtschiffe: Sie führen eine riesige Ladung Lebensgeschichten mit sich.»
Edith Birbaumer, Pfarreiseelsorgerin
Edith Birbaumer arbeitet zurzeit als Pfarreiseelsorgerin im Pastoralraum Stadt Luzern.
2015 schloss Birbaumer den Master of Advance Studies in «Altern und Gesellschaft» an der Hochschule Luzern ab.
«Ich mag alte Menschen, lasse mich gerne auf ihre Welten ein. Im Pflegeheim begleite ich alte wie junge Patienten in allen Stadien ihrer Krankheit, auch im Sterben. Wir reden über das Kranksein, aber auch über Alltägliches, ihr Leben, Humorvolles. Im Gespräch baust du eine Beziehung auf, die hält, wenns kritisch wird. Abhören allein genügt nicht, die Patienten erwarten Resonanz. Erzählen tut gut, gibt Kraft, stärkt das Wohlbefinden – das ist mein Beitrag zur Gesundheit der Bewohner und Bewohnerinnen. Auf Wunsch zünde ich auch mal eine Kerze für jemanden in der Hauskapelle an, spreche einen Segen, organisiere einen Priester für die Krankensalbung. Oder ich gestalte im Todesfall mit den Angehörigen eine Abschiedsfeier. Mich kann jeder in Anspruch nehmen, egal woran oder wie jemand glaubt. Wer ein Bedürfnis nach Seelsorge hat, den nehme ich ernst. Eine Seele spreche ich allen Menschen zu, es geht nicht um Bekehrung. Öffnet sich mir jemand, ist das für mich ein Privileg. Wie die Vielfalt an Menschen und Lebenserfahrungen.
Auch das Personal lädt hie und da Alltagssorgen ab
Ich begrüsse jeden neuen Patienten persönlich und zeige: Ich bin da bei Bedarf. Ich warte nicht im Büro, sondern gehe zu den Leuten. Laufe durch die Abteilungen, damit sie mich packen können. Oft gibt es zwischen Tür und Angel Begegnungen, beim Essen oder über dem Kreuzworträtsel. Auch das Personal lädt bei mir hie und da Alltagssorgen ab, mitten auf dem Flur. Du musst spüren, wann und ob dich jemand braucht. Beim ersten Kontakt stehe ich manchmal am Berg und finde den Anfang nicht, weil ich mit leeren Händen komme. Ich muss nichts tun, sondern biete einfach meine Gesprächsbereitschaft an. Ist die erste Hürde genommen, ergibt sich das Weitere meist von selbst.
Geschichte, Philosophie, Sozialarbeit? Theologie!
Im Gymnasium las ich viel über Religionen. Doch Theologie hatte ich zunächst nicht im Blickfeld. Mich interessierten Geschichte, Sprachen und Philosophie. Da erzählte mir eine Kollegin vom Theologiestudium und ich sagte mir: Warum nicht all deine Lieblingsthemen zusammen studieren? Doch ich zögerte, konnte nicht zu allem in der Kirche blind Ja sagen und: Wer studiert so was heute noch? Ich liebäugelte mit einer Ausbildung in Sozialer Arbeit. Als ich jedoch an einem Schnuppertag der Uni erfuhr, dass es Sozialarbeit als Nebenfach zum Theologiestudium gibt, wollte ich den Versuch wagen. Zuvor machte ich ein Zwischenjahr, arbeitete unter anderem in einem Altersheim, was mir grosse Freude machte. Als ich mit dem Studium begann, war es keine Frage mehr: Hier gehöre ich hin.
Ich jobbte neben der Ausbildung weiter im Pflegebereich und holte mir Know-how in Gesprächsführung im «Clinical Pastoral Training». Nach dem Abschluss sammelte ich Erfahrungen bei einer Entwicklungsorganisation in Kenia, bevor ich die Berufseinführung zur Pastoralassistentin in einer Pfarrei begann. Religionsunterricht war nicht mein Ding, wie ich bald merkte. Da musst du Zugpferd sein, hinstehen und sagen, was läuft. Altersseelsorge und Sozialdienst gefielen mir besser. So reifte langsam der Entscheid für einen Wechsel. Ich begann berufsbegleitend das Masterstudium «Altern und Gesellschaft». Mitten drin stolperte ich unverhofft über die ausgeschriebene Seelsorgestelle im Pflegeheim Steinhof. Es war genau das, wonach ich suchte: ein Ort, wo ich meine Stärken und Vorlieben einbringen kann. Im Pflegeheim bin ich nicht so exponiert wie in der Pfarrei, repräsentiere weniger die Kirche, sondern die Seelsorge. Ich kann mit den Menschen ein längeres Wegstück gehen, mehr in die Tiefe gehen. Und mich reizt die Schnittstelle zwischen Medizin und Spirituellem.
«Es braucht Nähe und Distanz zugleich. Nur so bleibst du in deiner Rolle, kannst unterstützen.»
Vieles geht mir nahe – eine 96-jährige Mutter am Sterbebett ihrer 60-Jährigen Tochter genauso wie ein Gleichaltriger, der unheilbar krank ist. Du musst das ein Stück weit an dich ranlassen. Wäre ein Mensch für mich nur noch ein Fall, wäre ich fehl am Platz. Zieht es mich aber zu fest rein, verliere ich meine Rolle und bin keine Stütze mehr. Nach einem Gespräch lüfte ich den Kopf, ziehe mich ins Büro oder in die Kapelle zurück, schaue aus dem Fenster. Erst dann kann ich weitermachen oder am Abend unbelastet heimgehen.»
«Die RS ist für viele eine Herausforderung. Da bin ich gerne eine Stütze.»
Urs Kuster, Armeeseelsorger
Urs Kuster ist Seelsorger und Pfarreileiter in Bernhardzell SG. Gleichzeitig ist er Armeeseelsorger und in dieser Funktion eine Anlaufstelle für alle Angehörigen der Armee, die Rat suchen, Fragen nach dem Sinn des Lebens haben und ein 4-Augen-Gespräch wünschen.
In meiner beruflichen Tätigkeit steht für mich immer der Mensch im Mittelpunkt, vor allem der Mensch in einer speziellen Lebenssituation. Das ist die Armee in hohem Masse, für viele ist insbesondere die Rekrutenschule eine Herausforderung. Da bin ich gerne eine Stütze. Ich helfe, diese militärischen Herausforderungen und – viel häufiger noch – auch belastende Themen aus dem zivilen Leben lösungsorientiert anzugehen.
Vom Zimmermann zum Religionspädagogen
Ich hatte ursprünglich Zimmermann gelernt. Aber mir war schon früh klar gewesen, dass ich entweder auf dem Bau Richtung Vorarbeiter/Polier weitermache oder eine ganz andere Richtung mit mehr Kontakt zu Menschen einschlage. Dann stiess ich auf das katechetische Institut in Luzern. Das Angebot sagte mir sehr zu, so dass ich mich zu einem Vollzeitstudium entschloss. Dabei war ich zuvor in der Kirche nicht mal besonders verwurzelt. Ich war zwar Ministrant gewesen und hatte dabei viel Gutes erlebt. Mit den Eltern ging ich am Sonntag ab und zu in die Kirche und fühlte mich dort grundsätzlich wohl. Aber in den Sportvereinen hatte ich mich viel stärker engagiert.
Das änderte sich nach dem Studium als Religionspädagoge RPI. Zuerst war ich Jugendseelsorger in einer Pfarrei, dann leitete ich die Animationsstelle für kirchliche Jugendarbeit in Rorschach und reduzierte mein Pensum in der Pfarrei. Im Sommer 2013 stieg ich in Gossau dann vollständig in die Pastoralarbeit ein.
Spezieller Weg in die Armeeseelsorge
Mein Weg in die Armeeseelsorge war etwas speziell. Als Religionspädagoge hatte ich beim Psychologisch-Pädagogischen Dienst der Armee den Fachoffizier gemacht. Kollegen, die Armeeseelsorger waren, fragten mich dann, ob ich nicht zu ihnen stossen wolle. Obschon ich bereits Offizier war, war es anfänglich aber gar nicht möglich, weil es zu dieser Zeit für Religionspädagogen im Unterschied zu heute nicht vorgesehen war, in die Armeeseelsorge einzusteigen. Doch ein Diakon und Armeeseelsorger setzte sich bei Bischof Markus Büchel für mich ein, und schliesslich gab dieser mir die notwendige Empfehlung. 2012 machte ich dann noch den Lehrgang A für Armeeseelsorger. 2015 folgte der Lehrgang B zum Dienstchef. Seit 2015 bin ich Dienstchef der Armeeseelsorger beim Lehrverband Infanterie.
«In den ersten Wochen der RS kommt es auf rund 600 Rekruten zu 30 bis 60 Kontakten.»
In der ersten RS-Woche gehen ich und das Team an Armeeseelsorgern, das mir zur Verfügung steht, in jede Kompanie und stellen unsere Aufgaben und Möglichkeiten vor. Während der RS hängen unsere Telefonnummern am Anschlagbrett. Wir sind die einzige Instanz, welche die Rekruten direkt und ohne Umweg über ihre Vorgesetzten anrufen können. Das wird vor allem in den ersten Wochen der RS rege genutzt, da kommt es auf rund 600 Rekruten zu 30 bis 60 Kontakten. Wenn ich am Telefon keine Lösung finde, suche ich einen freien Termin in meiner Agenda. Für den Besuch in der Kaserne muss ich mich immer umziehen, denn ich treffe die Rekruten in Uniform. Weil wir von der Armeeseelsorge mit dem psychologisch-pädagogischen Dienst der Armee, dem Sozialdienst der Armee und den Ärzten vor Ort zusammenarbeiten, können wir zusammen viel Gutes erreichen. Ein lohnendes Engagement!
Im Lauf der Zeit habe ich mich vielfältig weitergebildet, so habe ich einen CAS in der Krisenintervention, viele Notfallpsychologie-Kurse und den CAS Zielorientierte Beratung bei psychischen Erkrankungen in meinem Rucksack. Ich bin einerseits Teil des Care Teams der Armee, andererseits im Care Team Psychologische Erste Hilfe des Kantons St. Gallen. Aber auch als gewöhnlicher Seelsorger in einer Pfarrei ist es von Vorteil, von psychischen Erkrankungen eine Ahnung zu haben.