Seelsorgerin & Seelsorger
Die Berufsbezeichnung Seelsorger/-in wird in der Deutschschweiz mehrheitlich verwendet. Daneben gibt es auch noch die Bezeichnungen Pfarreiseelsorger/-in und Pastoralassistent/-in.
«Kein Tag ist gleich, aber alle haben gemeinsam, dass es um Menschen geht.»
Ramona Casanova-Baumgartner, Seelsorgerin
Ramona Casanova-Baumgartner arbeitet als Seelsorgerin in der Dompfarrei St. Gallen.
«Zu meinen Aufgaben gehören Seelsorgegespräche und die Begleitung von Ministrant:innen, die Feier von Erstkommunionen, die Durchführung des Religionsunterrichts, die Familienpastoral sowie Trauerfeiern und Predigten – hauptsächlich in der Kathedrale St. Gallen.
Mehr als ein Hobby …
Es war nicht immer klar, dass ich irgendwann hier landen würde. Als Jugendliche an der Kantonsschule hatte ich im Gegensatz zu vielen meiner Mitschüler:innen kein bestimmtes Steckenpferd oder Lieblingsfach. Allerdings interessierten mich Fragen rund um Gott, die Kirche und Religion. Neben meiner damaligen Aktivität im Leistungssport war ich schon immer gerne mit Menschen unterwegs. Ich habe mich in der Pfarrei engagiert – mal bei Aktionen, mal im Gottesdienst, mal einfach beim Zuhören. Irgendwann habe ich gemerkt: Das ist mehr als nur ein Hobby, das gibt mir Sinn und Tiefe. Die Gespräche mit anderen, das Ausprobieren in verschiedenen Bereichen, viel Nachdenken und Beten haben mir allmählich gezeigt, dass das mein Weg sein könnte.
… und mehr als nur ein Job
So bin ich einen Schritt nach dem anderen gegangen: Zuerst habe ich begonnen, in Chur Theologie zu studieren. Dort habe ich meine Leidenschaft für dieses Thema entdeckt. Dann bin ich in meinen Beruf als Seelsorgerin – und so schliesslich in meine Berufung hineingewachsen. Im Gegensatz zu vielen Kommiliton:innen war das Theologiestudium meine erste Ausbildung. Sobald ich diesen Pfad eingeschlagen hatte, ging ich ihn ohne grössere Umwege oder ein Zwischenjahr. Er war für mich immer vollkommen stimmig. Heute ist die Seelsorge für mich weit mehr als nur ein Job.
Die Katholische Kirche ist unglaublich vielfältig und doch auf der ganzen Welt dieselbe. Ich schätze ihre Geborgenheit, diese Heimat, die sie bietet. Gleichzeitig kann ich offen sein, Veränderungen antreiben und immer wieder diverse Weiterbildungen in spezifischen Gebieten absolvieren. Mit den Menschen, mit denen ich arbeite, darf ich immer wieder Neues ausprobieren. Auch das ökumenische Miteinander liegt mir sehr am Herzen.
Mehr Anliegen als der Tag Stunden zählt
Einen typischen Arbeitstag gibt es bei mir eigentlich nicht. Genau das mag ich. Manchmal starte ich mit einer Besprechung im Team oder mit einem Besuch bei jemandem. Zwischendurch bereite ich Gottesdienste, Gruppenstunden oder Projekte vor, telefoniere, organisiere und beantworte Mails. Es gibt viel zu erledigen. Oft kommen spontane Dinge dazwischen – ein Gespräch, eine Idee, eine Situation, in der es meine Präsenz braucht. Es ist eine Kunst, allen gerecht zu werden. Es gibt immer mehr Anliegen, als ein Tag Stunden zählt. Abends kann es sein, dass ich noch an Veranstaltungen oder Treffen teilnehme.
Sehen, wie jemand wieder Hoffnung schöpft
Alle Aufgaben haben gemeinsam, dass es um Menschen geht. Ich darf als Seelsorgerin Dinge auffangen und aussprechen, die in emotionalen Momenten enorm schwierig in Worte zu fassen sind. Ein Erlebnis, das mich besonders geprägt hat, war die Beerdigung eines fünfjährigen Jungen, der an Leukämie gestorben ist. Heute bin ich selbst Mutter von zwei Kindern und frage mich, wie man so etwas überhaupt aushalten kann. In dem Moment haben die Eltern Erinnerungen mit mir geteilt. Wir haben miteinander geweint. Ich habe ihre Trauer mitgetragen. So schwer dieser Tag auch war, habe ich doch miterlebt, wie stark Nähe, Liebe und Zusammenhalt sein können.
Schwierige Gespräche und Situationen machen diesen Beruf spannend. Sie fordern mich heraus, kreativ zu werden. Dann zu sehen, wie jemand im Glauben wächst, neuen Mut fasst oder einfach wieder Hoffnung schöpft, ist sehr berührend. Ich liebe es, gemeinsam Ideen zu spinnen, Projekte auf die Beine zu stellen, zusammen zu lachen und zu merken, dass sich etwas bewegt. Und manchmal sind es die ganz kleinen Momente: ein Lächeln, ein ehrliches ‹Danke›. Sie erinnern mich daran, warum ich diesen Weg gehe.»
Zu Ramonas Video mit ihrem Ehemann Andri
«Wir haben alle einen Auftrag und mir ist es wichtig, dem zu folgen.»
Charlotte Küng-Bless, Seelsorgerin und Religionslehrerin
Charlotte Küng-Bless arbeitet als Seelsorgerin bei der Katholischen Kirche Region Rorschach und als Religionslehrerin an der Kantonsschule am Burggraben in St. Gallen.
«Ich sehe mich als Handwerkerin für Menschen. Ich arbeite gerne mit ihnen und zu ihrem Wohl. Ich möchte Hoffnung weitergeben, Möglichkeiten aufzeigen und diese ausloten. Das hat auch eine politische Dimension und ist mir persönlich ein grosses Anliegen: Kreativität und Engagement für Neues – im Rahmen der Katholischen Kirche. Wir haben alle einen Auftrag und mir ist es wichtig, dem zu folgen.
Menschen mitnehmen und sie unterstützen
Ich feiere gerne in meinen Gottesdiensten, am liebsten mit Musik. Musikalisch sein liegt in unserer Familie. Mein Mann ist Musiker und begleitet mich manchmal bei den Gottesdiensten. Ich möchte die Menschen mitnehmen und nicht bedächtig predigen. Zum ersten Mal durfte ich als 20-jährige Blauring-Leiterin beim Lagerrückblick eine Predigt halten. Das war ein sehr prägendes Erlebnis für mich. Die Ausbildung machte ich zur Primarlehrerin am ehemaligen Lehrerinnenseminar Baldegg im luzernischen Seetal. Ich merkte aber, dass ich noch etwas anderes brauche. Etwas, bei dem ich den Menschen zeigen kann, wie wertvoll sie sind – unabhängig von den Kriterien unserer Leistungsgesellschaft.
Unverbesserliche Weltverbesserungstendenz
Für die neue Richtung zum Kirchenberuf waren zwei Momente besonders einschneidend: Einmal auf der spirituellen Ebene, bei einem Ostergottesdienst, als ich spürte, dass das mein Weg ist, und einmal auf der praktischen Ebene, beim Berufsberater. Theologie sei der richtige Studiengang für mich – wegen meiner Weltverbesserungstendenz, wie er sagte. Das Studium absolvierte ich an der Universität Luzern. Ich genoss diese Zeit des Studierens und nutzte sie intensiv zur Reflexion. Während des Studiums unterrichtete ich in einem kleinen Pensum Religion an der Primarschule in Weggis. Das war ein idyllischer Arbeitsweg mit dem Schiff von Luzern aus über den Vierwaldstättersee.
Profil zeigen
Nun bin ich seit 2011 in der Region Rorschach als Seelsorgerin tätig und seit 2021 als Religionslehrerin in St. Gallen. Ich bin sehr glücklich mit meinem Beruf und übe ihn mit Begeisterung aus. Wie alle, die sich mit Herzblut für etwas engagieren, das ihnen wichtig ist, habe ich manchmal Zweifel und stosse an meine Grenzen. In der katholischen Kirche sind sie einfach (offensichtlicher als anderorts) abhängig vom Geschlecht eines Menschen. Aber wenn ich im Arbeitsalltag merke, wie anregend die Auseinandersetzung mit dem Glauben für junge und ältere Menschen ist, dann gibt mir das sehr viel Kraft und Antrieb.
Als Seelsorgerin sollte man warmherzig und verständnisvoll sein, aber auch Profil zu zeigen, um fassbar und glaubwürdig zu sein. Man muss gut mit unterschiedlichen Menschen umzugehen wissen und sich leicht auf verschiedene Situationen einstellen können. Freude und Trauer liegen im Berufsalltag manchmal sehr nah beieinander. Als Kanti-Lehrerin habe ich dauernd die Möglichkeit, mich mit Jugendlichen zu spannenden Themen und religiösen Texte auszutauschen. Da ist es wichtig, eine offene Atmosphäre und einen respektvollen Rahmen zu schaffen und trotzdem eine klare Linie zu haben.»
«Ich kann Menschen in fast jeder Lebenslage abholen. Das fasziniert mich.»
Annabel Graf, Seelsorgerin
Annabel Graf arbeitet als Seelsorgerin in der Pfarrei St. Maria Neudorf in St. Gallen.
Ich wusste gleich nach der Matura, dass ich Theologie studieren wollte. Dabei hatte ich vorher die üblichen Vorurteile dagegen gehabt und eher an Wirtschaft und Recht oder Sozialarbeit gedacht. Doch es gab nichts, das mich wirklich packte. Bis ich per Zufall vom Informationstag zum Theologiestudium an der Uni Luzern erfuhr. Ich ging mit gemischten Gefühlen hin, aber dann zog es mir gleich den Ärmel rein. Die Präsentation, die persönlichen Kontakte, die Atmosphäre – das alles gefiel mir. Und ich sah, wie breit das Studium angelegt ist: Das geht von Ethik über Dogmatik bis zur biblischen Geschichte. Ein Studium, das sämtliche Aspekte des menschlichen Daseins abdeckt, das faszinierte mich. Hinzu kam mein persönlicher Hintergrund: Meine Familie war in der Kirche verwurzelt, ich war Ministrantin und in der Jubla und hatte Kirche immer schon positiv erfahren. Ich kannte bis dahin aber vor allem die kirchliche Jugendarbeit.
Wenn du Theologie studierst, lässt du dich auf eine Entdeckungsreise ein. Du entdeckst das Christentum, andere Kulturen und Religionen sowie dich selbst und deine Rolle in der Welt. Man taucht ein in ein Meer verschiedener Fragen, welche die Menschen schon immer hatten. Man schliesst sich diesen an, als Teil von etwas Grösserem, das die Menschen schon länger beschäftigt.
Theologiestudium eröffnet gute Berufsperspektiven
Die theologischen Fakultäten sind relativ überschaubar, das gibt dir ein familiäres Gefühl beim Studium. Und schliesslich hat man gute Berufsperspektiven, sowohl in der Kirche als auch ausserhalb der Kirche – zum Beispiel als Ethikerin bei Unternehmen, im Personalwesen, in der Flughafen- oder Gefängnisseelsorge. Als Theologin oder Theologe deckst du eben viele Bereiche ab, die zum Teil auch in der Privatwirtschaft gefragt sind. Deshalb werden die Berufsperspektiven, die man hat, oft unterschätzt. Viele Arbeitgebende nehmen lieber einen breit geschulten Theologen und geben ihm einen Crashkurs in Wirtschaft als umgekehrt. Diesen Vorteil eines Theologiestudiums darf man durchaus auch mal hervorheben.
Nach dem Studium ging ich als Seelsorgerin in Ausbildung in der Pfarrei St. Maria Neudorf in die pastorale Praxis. Da hat man eine 80%-Anstellung in der Pfarrei und 20% Weiterbildung vom Bistum her. Man lernt das Gestalten von Liturgien und Seelsorgegesprächen. Die Praxis, die in der Theologieausbildung fehlt, kommt hier ins Spiel.
«Ich will in die Lebenswelten der Menschen eintauchen und kennenlernen, was die Menschen beschäftigt.»
Theologie sollte für die Menschen da sein, und diese Menschen will ich nie aus dem Blickfeld verlieren. Denn Theologie bewegt sich in einem luftleeren Raum, wenn sie nichts mit dem Leben und den Menschen zu tun hat. Ich will in die Lebenswelten der Menschen eintauchen und kennenlernen, was sie beschäftigt. Ich sehe bei meiner pastoralen Arbeit Schüler, Familien, ältere Menschen: Man begegnet dauernd Menschen in verschiedenen Lebensphasen und mit verschiedenen Hintergründen und kommt mit ihnen ins Gespräch. Das finde ich extrem spannend. Vor allem an den Brenn- und Wendepunkten des Lebens, wenn jemand auf die Welt kommt, jemand mit der Firmung ins Erwachsenenleben eintritt oder jemand stirbt.
Ich kann Menschen in fast jeder Lebenslage abholen. Das fasziniert mich. Aber ich geniesse grosse Freiheiten. Zwar bin ich ein Stück weit gebunden an gewisse Philosophien, welche die Kirche vertritt. Aber letztlich bin ich Gott und meinem Gewissen verpflichtet, und niemandem sonst. Ich muss mich auch nicht ständig erklären und rechtfertigen. Und ich kann Brücken zwischen der irdischen Dimension und den Fragen nach dem Lebenssinn schlagen. In anderen Berufen spielt diese Dimension der Spiritualität oder von Weltanschauungen keine wichtige Rolle.
Die positive Erfahrung mit der Kirche weitertragen
Die Kirche ist ein möglicher Weg, auf die wichtigen Fragen des Lebens Antworten zu finden. Auch wenn man nie abschliessende Antworten finden wird. Die Frage nach dem Lebenssinn wird einem automatisch immer auf den Tisch gelegt, wenn man eine Vertreterin der Kirche ist. Das ist spannend, aber auch herausfordernd. Ich werde auch oft mit der Erwartung konfrontiert, die Weisheit mit den Löffeln gefressen zu haben. Dabei weiss ich nicht viel mehr als andere. Aber ich kann vielleicht meine positiven Erfahrungen mit der Kirche weitertragen. So können andere Menschen von dem profitieren, was mir geschenkt wurde.
Schwierig finde ich es manchmal, allen Menschen gerecht zu werden; zu wissen, was sie überhaupt wollen, und dann auch entsprechend zu reagieren. Je nachdem, wie ich drauf bin, empfinde ich unterschiedlich. Auch den eigenen Stil zu finden, zum Beispiel liturgisch, ist schwierig. Man kann sehr dynamisch oder sehr statisch Punkt für Punkt vorgehen, oder auch spielerische Elemente einbauen. Das muss man selber entdecken, das war am Anfang echt eine Herausforderung.
«Floskeln funktionieren nicht, wenn der Funke rüberspringen soll.»
Gregor Sodies, Pfarreileiter und Notfallseelsorger
Gregor Sodies ist ausgebildeter Seelsorger und arbeitet seit 2014 in Greifensee ZH als «Pfarreibeauftragter in solidum», das heisst, er teilt sich die Leitung mit seiner Frau. Drei Wochen im Jahr leistet er mit einem 15-köpfigen Team freiwillig Notfallseelsorge.
«Im direkten Kontakt die Freuden und Sorgen mit Leuten teilen, das schätze ich. Bei Gottesdiensten ist es umgekehrt – eine Art Einbahnkommunikation. Ich predige gern, am liebsten frei und mit Bezug zu Aktuellem. Das kommt nicht immer gut an. Nach der Minarett-Initiative zitierte ich aus einem Brief an einen Imam in Winterthur (meinem früheren Arbeitsort), worin wir – die reformierten und katholischen Kollegen aus Wülflingen – das Abstimmungsresultat bedauerten und weiterhin Dialog anboten. Darauf verliess ein Mann die Kirche. Doch ich muss hinstehen für das, woran ich glaube. Floskeln funktionieren nicht, wenn der Funke rüberspringen soll.
Ohne eigenen Halt geht es nicht
Die Vielfalt in meinem Arbeitsalltag ist genial – ob Religionsunterricht, Gespräche vor oder nach einer Beerdigung oder Spitalbesuche. Mit einem Team von 15 Kolleginnen und Kollegen leiste ich zusätzlich freiwillig Notfallseelsorge, bin drei Wochen im Jahr während 24 Stunden auf Abruf bereit. Ich fahre mit dem Taxi vor Ort, bereite mich auf dem Beifahrersitz vor, lese meine persönliche Checkliste. Zuoberst steht: Ruhe bewahren. Als Zweites: Du gehst da nicht allein hin, Gott ist dabei. Damit wappne ich mich für alles, was kommt – ob ich einer Mutter den Unfalltod ihres Sohnes mitteile oder die Kollegen eines tödlich verunglückten Baustellenarbeiters begleite. Du weisst nie, was dich erwartet. Ohne eigenen Halt geht es nicht. Schwieriges werde ich in der Supervision oder im Gespräch mit meiner Frau los. Körperlichen Ausgleich bietet mein Velo.
«Im direkten Kontakt die Freuden und Sorgen mit Leuten teilen, das schätze ich.»
Wie meine Eltern war ich freiwillig für die Kirche tätig, als Ministrant und später als Jugendleiter. Ich fand es super, dass der Pfarrer uns Teenagern Verantwortung übergab, uns Neues ausprobieren liess. Der Seelsorger war jung, locker drauf, durfte predigen. So wollte ich auch mal sein.
Nach dem Abitur machte ich ein Zwischenjahr, wollte testen, was mir zusagte. Ich leistete Zivildienst als Sanitäter und Erste-Hilfe-Ausbilder. Das Unterrichten gefiel mir. Doch 40 Jahre dasselbe machen? Ich suchte nach mehr Vielfalt. Als ich das ganze Aufgabenspektrum eines Seelsorger kennenlernte, machte es endgültig Klick. Ich studierte Theologie, lernte mittendrin meine Frau kennen. Wir hörten von einem befreundeten Theologenpaar, wie breit die Aufgabenpalette von Seelsorger in der Schweiz ist. Wir waren fasziniert und wussten: Das wollen wir auch.
Organisatorisches Geschick, Blick für Prioritäten
Zum Glück brachten wir zu Beginn unseres Wirkens einiges an Erfahrung mit. Und wir waren zu zweit, konnten uns austauschen und gegenseitig unterstützen. Die Fülle der Aufgaben erfordert organisatorisches Geschick und einen guten Blick für Prioritäten. Als Theologenpaar haben wir selten am selben Tag oder Abend nichts los. Deshalb halten wir uns ein Wochenende im Monat und den Montag frei. Dann ist Zeit für Gemeinsames, zum Beispiel fürs Wandern.»
«Ich kann in meinem Berufsalltag Leid und Glück mit anderen teilen. Das gibt mir Kraft.»
Miriam Pacucci, Seelsorgerin
Ihr Theologiestudium absolvierte Miriam Pacucci in Luzern, wo sie mit einem Master abschloss. Erste Erfahrungen in der Seelsorge sammelte Miriam Pacucci im Pastoraljahr und anschliessend als Seelsorgerin in der Pfarrei Herz-Jesu in Zürich-Oerlikon.
«Der Glaube hat in meinem Leben schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Dennoch zögerte ich als Jugendliche, als mir meine Mutter vorschlug, Theologie zu studieren. Für mich hatte Theologie immer etwas Verstaubtes. Für meine Maturaarbeit interviewte ich dann den Priester der italienischen Missionsgemeinschaft, welcher meine Familie und ich angehörten. Dieser legte mir ebenfalls ans Herz, Theologie zu studieren. Ich ging dann also, auch ihm zuliebe, an die Uni Luzern schnuppern. Es gefiel mir extrem gut und ich meldete mich an. Da mir Sprachen liegen und ich vielseitig interessiert bin, passte das abwechslungsreiche Studium sehr gut zu mir. Ich schätzte die familiäre Stimmung und dass man sich gegenseitig hilft.
Ich wusste aber lange nicht, was ich nach dem Studium machen sollte. Mein bester Freund, der fürs Bistum Chur studierte, machte mir Mut, für die Schweizer Kirche zu arbeiten. Durch den Freund lernte ich auch den Regens des Bistum Chur kennen, der mich von Anfang an unterstützte, und wir verstanden uns auch auf menschlicher Ebene sehr gut. Er und der Personalverantwortliche des Generalvikariats halfen mir dabei, eine Pfarrei zu finden, die zu mir passte und in der ich mich wohl fühlte.
Für mich war es am Anfang schon eine Umstellung, für die Schweizer Kirche zu arbeiten: Sie ist, im Gegensatz zur Mission, eher progressiv. Auch an den Gesang musste ich mich beispielsweise zuerst gewöhnen. Nicht, weil er mir nicht gefiel, aber die Lieder sagten mir einfach nichts.
Es braucht Zeit, bis sich die Leute einem gegenüber öffnen
Im ersten Jahr in der Pfarrei konnte ich überall reinschauen. Dieses Jahr war nun mein Pastoraljahr, in dem ich mich spezialisierte: Ich gab Unterricht auf verschiedenen Stufen und übernahm Verantwortung bei der Firmvorbereitung. Ich bin mit den Ministrantinnen und Ministranten ins Lager gegangen, und auch das Krippenspiel habe ich mitorganisiert. Gleichzeitig habe ich mein erstes Jugendprojekt zum Laufen gebracht, und auch bei der Einführung einer «Kinderkirche» in meiner Pfarrei war ich eingebunden. Daneben machte ich Hausbesuche und Einzelseelsorge, das mag ich sehr. Ich habe auch Beerdigungen und Wort-Gottes-Feiern geleitet sowie mich an ökumenischen Projekten beteiligt. Ich komme gerne mit den Leuten ins Gespräch, auch in schwierigen Situationen.
«Es ist nicht einfach zu den Leuten durchzudringen. Aber wenn man es geschafft hat, gibt es einem sehr viel zurück.»
In diesem Job läuft sehr vieles über die zwischenmenschliche Ebene. Es braucht Zeit, bis sich die Leute einem gegenüber öffnen und auch über persönliche Dinge sprechen. Da ich hier relativ neu bin, kennen mich die Leute noch zu wenig. Es ist zwar manchmal etwas schwierig, zu den Leuten durchzudringen. Aber wenn man es geschafft hat, gibt es einem sehr viel zurück.
Zeigen, dass Schmerz, Leid und Unglück zum Leben gehören
Das Berufsfeld der Seelsorgerin ist sehr offen. Die Aufgaben hängen stark davon ab, in welcher Pfarrei man arbeitet. In der Pfarrei, in der ich arbeite, habe ich das Glück, dass meine Wünsche und auch meine Stärken grösstenteils berücksichtigt werden. Ich predige zum Beispiel nicht gern und bewege mich liturgisch viel lieber im Kirchenschiff als im Altarraum. Das ist in meiner Pfarrei möglich, denn wir haben neben dem Pfarrer gleich zwei Diakone.
Über Leid und Tod zu sprechen, ist nicht einfach. Aber ich merke auch, dass ich am richtigen Ort bin, wenn ich es tue. Ich will die Leute da abholen, wo sie sich gerade befinden. Ich möchte bei ihnen sein, wenn sie leiden, aber auch wenn sie glücklich sind. Ich will mithelfen, Schmerz, Leiden und Unglück in unserer Gesellschaft zu entstigmatisieren. Es ist normal, alle leiden irgendwann in ihrem Leben, es gehört dazu. Ich will diese Themen mittragen aus der Perspektive des Glaubens, der mich trägt.
Ein Gespür fürs Zwischenmenschliche
Ich hatte schon ein wenig Pfarreierfahrung von der italienischen Mission. Dennoch war ich sehr froh, dass für mich eine Stelle geschaffen wurde, wo ich am Anfang auch einfach mitlaufen konnte und langsam reinkommen konnte, da ich anfangs noch sehr unsicher war. Wichtig ist auch, dass es das Team gut zusammen hat.
Als Seelsorgerin braucht man eine gewisse Feinfühligkeit und Sensibilität. Man muss ein Gespür dafür haben, was sich gehört und was nicht. Es ist wichtig zu wissen, wann man was sagen soll oder besser auch einmal still sein muss. Es ist auch essenziell, dass man seine eigenen Worte und Handlungen hinterfragt. Man hat mit so vielen verschiedenen Leuten zu tun, muss sich mit ihnen auseinandersetzen.
Mein Beruf ist extrem vielfältig, und ich kann überall viel bewirken. Sei es beim Morgenkaffee mit dem 80-jährigen Witwer oder beim Religionsunterricht mit Kindern. Gerade auch von den Jungen kommt so viel zurück, sofort und unverblümt. Das hilft mir dabei, mich immer wieder von Neuem zu motivieren. Das Unmittelbare und Menschliche gefallen mir sehr gut.
Anstrengende Auseinandersetzung mit dem Glauben
Dennoch hat der Beruf auch weniger schöne Seiten: Es braucht Kraft, sich jeden Tag mit verschiedenen Menschen über den eigenen Glauben, über die eigenen Wurzeln auseinanderzusetzen. Man teilt quasi täglich das Intimste mit anderen. Da kann es im Team schon mal Meinungsverschiedenheiten geben. In einem normalen Bürojob muss man sich nicht immer so intensiv mit seinen Bürogspänli auseinandersetzen. Mit dem Alter und der Erfahrung wird man vielleicht lockerer, dann fällt einem das alles wohl auch leichter. Ich bin eine sehr sensible Person, und spüre viele Schwingungen, manchmal wohl auch zu viel.
Auch die Arbeitszeiten sind eher gewöhnungsbedürftig: Als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter in der Seelsorge arbeitet man auch öfters mal am Abend und fast jedes Wochenende, die Woche hat meistens sechs Arbeitstage. Andererseits ist man als Seelsorgerin auch sehr flexibel: Ich kann den Tag meistens zeitlich so gestalten, wie ich will. Gerade deshalb muss man sich aber abgrenzen können, vor allem auch, wenn man in seinen bevorzugten Nischen arbeiten kann: Wenn man etwas gern macht, arbeitet man oft sehr lange daran.
Ich glaube, die meisten Leute in der Kirche arbeiten zu viel. Selber Gedichte oder Gebete zu schreiben, das braucht zum Beispiel extrem viel Zeit. Aber, Gott sei Dank, gibt es in der Liturgie sehr vieles, das bereits geschrieben wurde. Da kann man sehr gut auf Bestehendes zurückgreifen.
Als Pastoralassistentin kann ich sehr viel bewirken, mich verwirklichen und ich erfahre Wertschätzung. Dennoch könnte ich mir auch gut vorstellen, als Flughafen- oder Notfall-Seelsorgerin zu arbeiten. Oder für ein christliches Hilfswerk. Egal was: Ich will irgendwie Gott dienen. Wo er mich einsetzen will, da gehe ich hin.»





